Mord in der Aumühle und Meilenhofen - Teil II

Veröffentlicht am 24. November 2024 um 17:12

Kaltblütig und hinterhältig drei Menschen getötet

Dem Mörder Otto Hiemer schlug am 22. Juli 1938 in Stadelheim die letzte Stunde

von Willibald Heigl,

veröffentlicht in den "Historische Blätter Für Stadt und Landkreis Eichstätt" 3/2004 & 4/2004

Tödliche Schüssen durchs Stubenfenster

Am Montag, dem 29. November 1937, nämlich saßen abends in der beleuchteten und deshalb von außen einsehbaren Wohnstube der etwa
einen Kilometer ostwärts von Nassenfels gelegenen Aumühle die Müllers-Eheleute Sebastian und Franziska Hollinger, deren Sohn Michael sowie das 13-jahrige Dienstmädchen Anna Graf friedlich versammelt. Kurz nach 19 Uhr wollte der Sohn das Zimmer verlassen, um im Stall noch Arbeiten zu verrichten. In diesem Augenblick pfiff ein Schuss durchs Fenster. Entsetzt, aber geistesgegenwärtig sprangen alle auf und wollten durch die Tür flüchten. Schon knallten hintereinander weitere Schüsse. Eine Kugel durchschlug den Unterleib der Anna Graf. Trotz der im  Krankenhaus Eichstätt sofort vorgenommenen Blutübertragung und der anschließenden Operation war das Leben nicht mehr zu retten. Der
Müllers-Sohn entkam glücklicherweise den Kugeln des Täters. Die Müllers-Eheleute erlitten Fleischdurchschüsse an den Beinen. Während Franziska Hollinger überlebte, starb ihr Mann 67-jahrig am 9. Dezember 1937.

Die Staatsanwaltschaft Eichstätt und die zuständige Gendarmerie begaben sich unverzüglich an den Tatort. Am Tag darauf weilte
dort auch die Mordkommission Nürnberg, um gemeinsam die furchtbare Untat zu klären. Inzwischen fand ein Zehnjähriger, der mit
seiner Mutter in der Nähe der Aumühle auf einem Feldweg unterwegs war, das Magazin einer Pistole. Auf dem noch mit zwei Patronen bestückten Fundgegenstand war "Infanterie Regiment 63“ zu lesen.
Bereits in der Nacht vom 3. auf 4. Dezember 1937 (Freitag/Samstag) konnte unter dem zwingenden Tatverdacht der 23-jihrige Otto Hiemer verhaftet werden. Er war beim genannten Regiment in Ingolstadt in der Waffenkammer eingesetzt. Im Besitz des Hiemer befand sich die beim Feuerüberfall benutzte Pistole, die er zusammen mit der dazu gehörenden Munition entwendet hatte. Der Verhaftete gestand die Bluttat zunächst nicht. Dennoch hatten alle bis dahin gewonnenen
Ermittlungsergebnisse gegen ihn gesprochen. Er verschanzte sich in einigen Punkten noch hinter einem gewissen Anton Strauß, dem er
angeblich in Nassenfels die Waffe ausgehändigt hatte und der nach seinen Angaben den Feuerüberfall auch begangen haben sollte. Nachforschungen ergaben aber, dass die genannte Person nicht existierte.
Außer der Bluttat in der Aumühle, die Hiemer zwischenzeitlich in  vollem Umfange gestand, tauchte zudem der Verdacht auf, dass
er 1932 auch seine ehemalige Geliebte erdrosselt und durch einen selbst verfassten Abschiedsbrief einen Selbstmord vorgetäuscht
hatte. Die Anklage lautete deshalb auf drei Verbrechen des  vollendeten und zwei Verbrechen des versuchten Mordes.

Hiemer genügte zum Zeitpunkt der letzten Morde seiner Wehrpflicht. Deshalb musste er sich vor dem Kriegsgericht der 27. Division Augsburg verantworten. Der auf sechs Tage anberaumte Prozess im Landgerichtsgebäude Eichstatt begann am 14. Februar 1938. Hierzu waren 60 Zeugen und mehrere Sachverständige geladen. Das Interesse der Bevölkerung an diesem Prozess war ungewöhnlich groß.

Niemand spricht gerne über einen Selbstmord. 1932 war das nicht anders. Das mag der Grund dafür sein, dass die Tat in Meilenhofen nur in einem örtlich sehr begrenzten Raum bekannt geworden war, zumal auch die Zeitung damals hierüber nicht berichtete. Erst als sich nach dem Überfall auf die Aumühle ein Zusammenhang zwischen den zwei Taten herauszustellen schien, berichtete die Presse über die beiden Ereignisse im Zusammenhang häufig und im Detail. Im Grunde genommen erfuhr somit die Öffentlichkeit über die Tatumstände in Meilenhofen erst
nach etwa sechs Jahren Genaueres.

Verfangen in einem Netz von Ungereimtheiten

Während Hiemer die Bluttat in der Aumühle bis auf die Tötungsabsicht zugab, bestritt er die Tat in Meilenhofen. Dieses Verhalten des Angeklagten bestimmte schließlich auch den Prozessverlauf. War doch das Gericht gezwungen, die Wahrheit ohne Hilfe des Angeklagten zu finden. 

Am dritten Verhandlungstag begab sich das Gericht an die beiden Tatorte. In der Aumühle wies Hiemer stereotyp eine Tötungsabsicht
von sich. Er räumte allerdings ein, dass er tödliche Treffer durchaus in Kauf genommen hatte. Die Richtung der einzelnen Schüsse und die Höhe ihrer Einschläge zeigten auch deutlich, dass Hiemer bei dem Sohn, wie auch bei dem auf dem Sofa sitzenden Vater wohl darauf ankam, sie zu erschießen. So sicher sich Hiemer am Tatort in der Aumühle zeigte, so nervös und fahrig war er anscheinend am Tatort in Meilenhofen. Schon im Vorverfahren wechselte er diesbezüglich dauernd seine Aufgaben. Er bestritt Dinge, von denen er sich sagen musste, dass sie ihm leicht durch Zeugenaussagen nachgewiesen werden könnten und schließlich, in die Enge getrieben, schwieg er sich aus. Sehr häufig litt Hiemer
an ,,Gedächtnisschwund", verwickelte sich in Widersprüche und wich von früheren Aussagen ab. Manchmal wurde er auch bei offensichtlichen Lügen ertappt. Hiemer verfing sich häufig und immer mehr im Netz von Ungereimtheiten. Unter dem Druck der Zeugenbeweise musste er seine Aussagen des Öfteren ändern. Die mit außerordentlicher Umsicht und Genauigkeit geführten Vernehmungen im Anwesen des Konrad Gegg und
in der ehemaligen Kammer der Magd nahmen lange Zeit in Anspruch. Stück für Stück und Satz für Satz wurde ihm sein Verteidigungsvorbringen widerlegt.

Das Netz der Indizien zogen sich über dem Angeklagten zusammen. Wer glaubte, Hiemer würde unter dem Druck der Zeugenaussagen und der Sachverständigengutachten ein Geständnis ablegen, sah sich jedoch getäuscht. Er bestritt alles; es blieb bei sturem Leugnen. Beharrlich und unverändert bestand er darauf, dass er mit Josefas Tod nichts zu tun habe. Merkwürdigerweise verbrannte er aber nach seiner polizeilichen Einvernahme 1932 den Brief, den er zwei Tage vor der Tat von seiner Geliebten erhalten haben wollte. Am letzten Verhandlungstag, Samstag, 19.
Februar 1938, gab der Vorsitzende dem Angeklagten vor den Plädoyers des Anklagevertreters und des Verteidigers noch einmal Gelegenheit zu seiner Verteidigung und zum Geständnis. Hiemer äußerte sich wie folgt: ,,Ich weiß nichts mehr zu sagen, ich kann keine Erklärung mehr abgeben.” Nach einer längeren Beratung des Gerichtes gab der Vorsitzende bekannt: ,,Im Namen des deutschen Volkes verkünde ich folgendes Urteil: Der Angeklagte Otto Hiemer ist schuldig des Mordes in drei Fällen und wird deshalb drei Mal zum Tode und des Mordversuchs in zwei Fällen zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Ferner werden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt und die Wehrunwürdigkeit erklärt.«

Bezüglich des Falles in der Aumühle war das Gericht vom unbedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten überzeugt. Zumindest hatte Hiemer den bedingten Vorsatz hierzu. Hinsichtlich der Tat in Meilenhofen war sich das Gericht seiner Verantwortung in einem Indizienprozess bewusst. Nach eingehender Beweisaufnahme kam das Gericht schließlich zu dem Ergebnis, dass zwar nicht mit mathematischer aber doch mit jener Sicherheit, die durch menschliches Tun zu erreichen ist, eine Feststellung der Täterschaft des Angeklagten habe erreicht werden können. Ein Selbstmord der Josefa Habermeier schied nach Gerichtsüberzeugung demnach letztendlich aus.

Hiemer legte gegen das Urteil Berufung ein.
Die Verhandlung vor dem Obersten Kriegsgericht des 7. Armeekorps München begann am 25. April 1938 erneut im Landgericht Eichstätt. Der Andrang war wiederum so groß, dass der Sitzungssaal die neugierigen Menschen kaum zu fassen vermochte.

Der Fall in der Aumühle lag klar. Neue Fakten traten nicht zutage. Das Motiv, weshalb Hiemer auf die Müllers-Eheleute schoss, konnte allerdings auch in der Berufungsverhandlung nicht eindeutig geklärt werden.

Die Tat war in allen Einzelheiten vorbereitet

Meilenhofen betreffend blieben die Zeugen in der Hauptsache bei ihren Aussagen vor der ersten Instanz. Hiemer verschanzte sich weiter hinter seiner zurecht gelegten Verteidigungstaktik. Er beteuerte ebenso weiter seine Unschuld. Es schien unmöglich, ihn herauszulocken und neue Aussagen von ihm zu erhalten. So sah sich das Gericht gezwungen, das ganze Mosaik der früheren Beweisaufnahme auseinander zu nehmen und jeden Teil des dunklen Todes der Josefa Habermeier aufs Neue zu prüfen.

Der Vorsitzende ging hierbei meisterlich zu Werke. So begab sich das Gericht am Abend des zweiten Verhandlungstages an den Tatort. Die Nacht entsprach wettermäßig ziemlich der Mordnacht. Hiemer wurde überall dort hin geführt, wo er sich in jener Nacht aufgehalten hatte und entsprechend befragt. Die Situation des Angeklagten verschlechterte sich von Stelle zu Stelle. Der dramatische Augenblick vollzog sich jedoch dann in der Kammer der Josefa Habermeier. Minutiös ließ der Vorsitzende vor Hiemers geistigem Auge den Hergang der Tat so entstehen, wie er sich abgespielt haben musste. Die Fragen an den Angeklagten wurden immer eindringlicher. Sie stießen das errichtete Lügengebäude nach
und nach unhaltbar um. Als dann der Vorsitzende auch noch darauf hinwies, wie schwer es den Angeklagten doch belasten müsse, dass die Getötete kein kirchliches Begräbnis erhalten konnte, legte Hiemer ein Geständnis ab. 

... Fortsetzung folgt ...