Mord in der Aumühle und Meilenhofen - Teil III (6/24)

Veröffentlicht am 22. Juni 2024 um 10:00

Kaltblütig und hinterhältig drei Menschen getötet

Dem Mörder Otto Hiemer schlug am 22. Juli 1938 in Stadelheim die letzte Stunde

von Willibald Heigl,

veröffentlicht in den "Historische Blätter Für Stadt und Landkreis Eichstätt" 3/2004 & 4/2004

Demnach geschah am Mordtag folgendes: Hiemer schrieb mittags in Buxheim den Abschiedsbrief. In Tötungsabsicht fuhr er am Abend mit dem Fahrrad nach Meilenhofen. Er musste etwa eine halbe Stunde warten bis Josefa Habermeier vom Heimgarten zurück war. Josefa ging zunächst alleine auf ihr Zimmer. Kurze Zeit später kam sie dann wieder herab, um Hiemer einzulassen. Am Bett sitzend ließ das Mädchen mit gesenktem Haupt die Vorwürfe über sich ergehen, zu denen sich Hiemer berechtigt glaubte. Als nach wenigen Augenblicken das Mädchen zu Hiemer aufblickte, schlug ihr dieser unvermittelt mit der flachen Hand wuchtig gegen den Kehlkopf. Das Mädchen fiel rückwärts auf das Bett und war bewusstlos. Hiemer deckte ein Kopfkissen über das Gesicht der Josefa Habermeier und hielt es so lange fest, bis er sich ihres Todes
sicher war. An einem Nagel hingen mehrere Garbenstricke. Einen Strick, aus dem Hiemer eine Schlaufe machte, befestigte er am Fensterkreuz. Dann hängte er die Leiche regelrecht auf. Hiemer ordnete das Bett, schob die restlichen Stricke unter das Kopfkissen und legte den  mitgebrachten und von ihm verfassten Abschiedsbrief auf das Fensterbrett. Danach schlich sich der Mörder leise die Treppe hinunter und verließ das Haus durch den Pferdestall.

Hiemer hatte die Tat also in allen Einzelheiten vorbereitet. Er führte sie kaltschnäuzig und planmäßig aus. Diese Bluttat trug er mehr als sechs Jahre auf seinem Gewissen.

Oberstes Kriegsgericht verwarf Berufung

Unter atemloser Spannung aller Anwesenden verkündete das Oberste Kriegsgericht am 29. April 1938 dann folgendes Urteil: ,,Im Namen des deutschen Volkes wird die Berufung des Angeklagten verworfen. Damit erlangte das Urteil der Erstinstanz, auf das die bis ins letzte Detail gehende Begründung im Wesentlichen Bezug nahm, Rechtskraft. Auf die entsprechende letzte Frage des Vorsitzenden an Hiemer antwortete dieser nach kurzem Besinnen abschließend: "Jawohl, ich nehme das Urteil an.” 

Der ab dem 28. Januar 1938 in der damaligen Strafanstalt Eichstatt (heutige Justizvollzugsanstalt) inhaftierte Otto Hiemer kam am 6. Mai 1938 in das Gefängnis München-Stadelheim. Im selben Jahr wurden dort 17 Hinrichtungen mittels Fallbeil vollzogen. Als Hinrichtungstag des Otto Hiemer ist der 22. Juli 1938 dokumentiert.

Motive: Wut, Hass und Rachegefühle

Hiemer beging die Verbrechen aus unterschiedlichen Motiven. Er war Miteigentümer eines kleinen Häuschens in Nassenfels, das von den übrigen Miteigentümern zum Verkauf  angeboten wurde. Die Müllers-Eheleute erwarben dieses Gebäude. Es sollte ihnen später als Austragshaus dienen. Den Verkauf leiteten im Wesentlichen die Übrigen Miteigentümer ein. Hiemer sah sich zwar vor vollendete Tatsachen gestellt; dennoch stimmte er dem zu, weil er sich von seiner Verkehrsunfall-Entschädigung (370 Reichsmark) ein Motorrad kaufen wollte. Wegen einer Unterhaltspfändung für seine beiden unehelichen Kinder kam es dazu allerdings nicht. Darüber war er sehr enttäuscht. Schließlich sah er sich auch um sein Heim betrogen. Er glaubte, es nicht überwinden zu können, dass dieser Besitz in die Hände der Familie Hollinger ging. In ihm stauten sich Wut, Hass und Rachegefühle an — so die Darstellung Hiemers. Dennoch blieb strittig, weshalb der Angeklagte auf die Müllers-Eheleute schoss. Nach der gründlichen Durchleuchtung des Falles lag für ihn durchaus kein Grund vor, den Aumüllers einen ,Denkzettel“ (so die Ausdruckweise des Täters) geben zu müssen. Mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit war daher mit dem Überfall auch eine Raubabsicht verbunden. Sie wurde nur dadurch vereitelt, dass es ihm nicht gelang, alle Personen, die sich in abendlicher Stunde im Zimmer befanden, zu erschießen. Was Hiemer genau bezwecken wollte, gab er glaubhaft nicht preis. Letztlich war es für die Urteilsfindung auch nicht von Belang.

 

 

 

 

Etwa eine Woche vor Josefas Tod saß Hiemer mit anderen in einem Lokal in Nassenfels. Seine Freunde hänselten ihn ob seines Verhältnisses mit der Habermeier, für das er bald die Folgen zu tragen habe. Das Gerede im Ort machte ihn wütend. So reifte in ihm der unmenschliche Plan, seine Geliebte zu töten.

Hiemer bediente sich zu seinem Vorteil nachweislich schon bei anderen Gelegenheiten gefälschter Briefe. Auch im Falle Josefa Habermeier spielten zwei Briefe eine Rolle. Von ihnen bekamen die Sachverständigen aber nur noch den Abschiedsbrief zu sehen. Er spielte bei der Tatüberfithrung die entscheidende Rolle. Das schlüssige Gutachten der Sachverständigen über das Zustandekommen dieses Dokumentes wurde durch das Geständnis schließlich voll und ganz bestätigt.

Nachträgliche Untersuchung eines 
Schriftsachverständigen

Nach dem Prozess befasste sich der Schriftsachverständige bei der Kriminalpolizeistelle Nürnberg-Fürth, Ernst Daumerlang, im Monatsheft für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis (Heft Nr. 8, 12. Jahrgang vom August 1938) mit dem Vorfall in Meilenhofen. Der Verfasser erklärte zwar gleich eingangs, dass es ihm nicht darum gehe, etwa zutage getretene Mangel und Unterlassungen von früher aufzudecken oder sonstwie an der Tätigkeit einzelner Beamten oder gar einer Behörde Kritik zu üben. Aber allein die Tatsache, dass Daumerlang aus diesem interessanten Prozess für die Praxis abschließend insgesamt vier neue Lehren zog, veranschaulicht eines deutlich: im Fall Habermeier hatten die Briefumstände hinterfragt und hierzu unbedingt ein Sachverständiger beigezogen werden müssen — der spätere Prozessausgang lieferte den Beweis dafür. So ist laut Verfasser beispielsweise jeder von einem Selbstmörder hinterlassene Brief von einem amtlich anerkannten Sachverständigen daraufhin zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um die Handschrift des Verstorbenen handelt. Zudem sind die Abschiedszeilen den nächsten Angehörigen vorzulegen. Im Falle Josefa Habermeier unterblieb sowohl das eine als auch das andere.

Dokumente, die der Chronik zu Grunde liegen:
1. Pfarramt Meilenhofen, Sterberegister 1932
2. Bischöfliches General-Vikariat Eichstätt vom 3. Marz 1932, No. Exp. 482
3. Eichstätter Anzeiger vom 30. November 1937, 1. Dezember 1937, 2. Dezember 1937, 3. Dezember
1937, 4. Dezember 1937, 6. Dezember 1937, 7. Dezember 1937, 9. Dezember 1937, 11. Dezember
1937, 15. Dezember 1937, 26. Januar 1938, 9. Februar 1938, 14. Februar 1938, 15. Februar 1938,
16. Februar 1938, 17. Februar 1938, 18. Februar 1938, 19. Februar 1938, 21. Februar 1938, 25. April
1938, 26. April 1938, 27. April 1938, 28. April 1938, 29. April 1938, 30. April 1938

4. Eichstätter Kurier vom 24. Oktober 2003
5. Bestandbuch der ehemaligen Strafanstalt Eichstätt aus 1938
6. Monatsheft für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis, August 1938
7. Justizvollzugsanstalt München I/Archiv vom 23. Oktober 2003 ;
8. Bischöfliches-Generalvikariat Eichstätt Nr. EXP 3114/2003 Az. 34-21 vom 12. Dezember 2003
9. Foto vom ehemaligen Haus der Familie Gegg in Meilenhofen
10. Foto von der Aumiihle im Zustand von 1937

Eines steht jedenfalls fest: Wenn Hiemer durch Beiziehen eines amtlichen Sachverständigen bereits 1932 überführt worden wäre
- und davon ist wohl auszugehen —, wäre der Familie Habermeier viel Leid erspart geblieben; zum weiteren hätte es zum Überfall auf die Aumühle mit seinen tödlichen Folgen gar nicht mehr kommen können.

Der Prozessausgang 1938 rehabilitierte Josefa Habermeier juristisch. Kirchenrechtlich allerdings blieb sie noch viele Jahre darüber hinaus mit einem folgenschweren Makel behaftet. Erst 1955 ergänzte Pfarrer Lorenz Schmid den Sterberegistereintrag (,,Selbstmord durch Erhängen; Doppelmord, weil in anderen Umstanden") mit folgendem Zusatz: »Nach fünf bis sechs Jahren konnte gerichtlich ermittelt werden, dass nicht Selbstmord sondern Mord vorlag; der Mörder hieß Hiemer*. Weshalb allerdings 17 Jahre verstreichen mussten, bis es zu diesem Nachtrag in den kirchlichen Unterlagen kam, ist leider nicht mehr feststellbar. Hierzu stellte das Bischöfliche Generalvikariat Eichstatt am 12. Dezember 2003 allerdings schriftlich klar, dass Josefa Habermeier durch diesen Ergänzungseintrag auch kirchenamtlich rehabilitiert worden war, d.h. sie wurde wieder in den Stand eingesetzt, der vor ihrem Tod für sie galt, wenngleich ein nachträgliches kirchliches Begräbnis nicht mehr möglich war.

Die zitierte schriftliche Weisung an das Katholische Pfarramt Meilenhofen vom 3. März 1932, die der jetzige Generalvikar ausdrücklich bedauerte, erledigte sich durch die kirchenamtliche Rehabilitation von selbst. Diese Weisung schuf nämlich keine zusätzliche Norm, sondern verdeutlichte lediglich das damals geltende Kirchenrecht.

Josefa Habermeiers pflegebedürftige Mutter zog von Möckenlohe nach Meilenhofen zu ihrer dort verheirateten anderen Tochter. Das
war ebenfalls 1955. Ein Zusammenhang zwischen diesem Umzug und dem Ergänzungsvermerk im dortigen Sterberegister im selben Jahr ist denkbar. Durch den schweren Schicksalsschlag der Familie Habermeier hatte die betagte Frau nur noch ein Anliegen: nach
ihrem Tod (sie starb 82-jahrig am 10. Juli 1957) wollte sie im Grab ihrer Tochter beerdigt werden, um darin mit ihr gemeinsam den ewigen
Frieden zu finden. Dieser Herzenswunsch der leidgeprüften Mutter ging in Erfüllung.